​Landküche im Onsen – Speisen wie ein Samurai

Der Aufenthalt im Ryokan, der traditionellen Herberge, beinhaltet immer Halbpension mit komplettem japanischem Menu zum Frühstück und zum Abendessen. Das ist für Fremde ohne Sprachkenntnisse ein ganz hervorragender Einblick in die vielfältige Kochkunst des Landes. Anstatt einer Speisekarte zur Auswahl bekommt jeder Gast ein festes Menu auf einem Tablett. Das ist vollgepackt mit verschiedensten Köstlichkeiten in kleinen Schüsselchen und wird abends im eigenen Zimmer auf dem Boden serviert – gelobt sei die multifunktionale Tatami-Matte. In unserem Fall mit regionaltypischem Einschlag der Akita-Provinz. Insgesamt sehr leicht mit viel Gemüse, bestand so ein Menu im Wesentlichen aus mehreren Suppen und Salaten. Die einzelnen Kräuter konnte ich nicht alle identifizieren. Es wurden immer verschiedene Zuchtpilze verwendet. Als Hauptgerichte gab es etwas Fleisch, eine gehaltvollere Suppe im schweren Eisenkessel und zu jeder Mahlzeit einen kleinen Ayu, das ist so eine Art Nationalfisch, mal mit Salz gegrillt oder süß gebraten. Insgesamt waren die Gerichte eher mild gewürzt. Sojasauce und Miso hielten sich im Hintergrund, eher lieferten Pilzsude, Fonds oder Mayonnaise die Herzhaftigkeit. Schärfe kam von Pfeffer, Zwiebelgemüsen und Ingwer. Viele Gerichte überraschten, was sauer aussah, schmeckte süß, was am Vortag noch cremig angemacht war, präsentierte sich frisch und pfeffrig. Zwischendurch begegneten wirklich ungewöhnliche Geschmäcker, eine klare Suppe war in Wirklichkeit eine Art halbgestocktes Aspik, ein Pilzsalat war scheinbar komplett durchfermentiert und schmeckte, wie ein mit Myzel befallener Holzblock riecht. Ganz phantastisch gelungen ein kleines Stück Schweinebauch, in Alufolie gegart auf Gemüse und Zitronenstückchen, das alle Aromen angenommen hatte. 

Vom Charakter her ähnelten sich die Mahlzeiten, das Frühstück war ganz ähnlich aufgebaut, nur ohne gehaltvolle Suppe. Trotzdem schaffte es die Küche bei jedem Essen, das eine Thema ansprechend zu variieren. 

Ein Abendessen, auf dem Zimmer serviert.

Frühstück unterschied sich vom Abendessen durch ein frühstückstypische Zutat wie das Rührei links…

…und es wurde im gemeinsamen Speisesaal serviert.

Tsurunoyu Onsen – Baden wie ein Samurai

Weit im Norden ist das Land noch tief verschneit. Die Berge sind hoch und steil, Schneefräsen parken vor Schuppen aus grob bearbeitetem Nadelholz. Es gibt Skilifte, ganz wie in den Alpen. Aber die Landschaft ist irgendwie lieblicher, nicht so zerklüftet, wirkt gepflegter. Hier paaren sich natürlich Geologie und japanische Ästhetik, denn die Berge sind kein Faltenwurf drängender Landmassen, sondern als Vulkane aus dem flachen Boden gewachsen wie Pilze, rund und wohlgeformt. Die feurigen Berge schenkten dem Land nicht nur ein anmutiges Profil, sie heizen auch eine Vielzahl schwefelig-heißer Quellen, welche die Menschen zu erholsamen und heilenden Bädern nutzen. Das muss nicht im verschneiten Norden sein, vulkanisch ist das ganze lange, schmale Japan, von den Tropen bis zur Tundra. Aber in unzugänglicher Winterlandschaft sitzt es sich urgemütlich im dampfend heißen Freiluftbecken. Vollkommen aber wird das Badevergnügen im Onsen erst als Gast des zugehörigen Ryokan, der traditionellen Herberge. Als erstes unterwirft man sich da dem japanischen Konformitätszwang, in dem man für die Dauer des Aufenthaltes ausschließlich hauseigene Badekleidung trägt. Das ist ein dünner, heller Kimono und ein gröberer, blauer Überwurf. Der kaschiert praktischerweise jeden Bauchansatz und macht breite Schultern wie ein Samurai. Unterwäsche darf darunter getragen werden, solange man diese mit den Kimonos geschickt den Blicken anderer Gäste entziehen kann. 

Es gilt natürlich, strenge Regeln zu befolgen. So gibt es mindestens drei verschiedene Schuhe, fürs Haus, für das Bad und grobe Holzpantinen für das Klo. Die müssen korrekt an- und ausgezogen sein und im richtigen Windfang abgestellt werden. Dann gibt es noch die zahlreichen Schiebetüren zu bedienen. Das beherrschen Fremde aber nie. Wir können nur staunen, wenn der Zimmerkellner mit schwerem Tablett die Schlappen abstreift, dann seine Last einhändig knieend sichert und mit der freien Hand die Türen zischend bedient. 

Nach all der gelebten Tradition sind die Baderegeln gar nicht mehr so schwer. Wahrscheinlich machen wir sowie alles falsch, aber wir wären nicht die einzigen. Jüngere Japaner wirken im öffentlichen, gemischtgeschlechtlichen (!) Becken generell unsicher und verklemmt. Die weißhaarigen dagegen scheren sich um gar nichts. Nacktheit ist ein kritischer Punkt. Für die gefährlichen zwei Meter zwischen Umkleide und Becken schützt man sich mit einem kleinen, weißen Lappen. Den trägt man im Wasser dann zusammengefaltet auf dem Kopf. Damen bemühen sich, durch sofortiges Hinsetzen ihre meist nur spärlich vorhandenen Brüste im trüben Wasser zu verbergen.

Dann gibt es schon in der Umkleide eine Badestelle, die genutzt werden muss. Da ist ein Kaltwasserhahn und die japanische rechteckige Sitzwanne mit brühend heißem Quellwasser. Zum reinigen, aber vor allem um den Kreislauf vorzubereiten, übergießt man sich aus Bottichen oder wagt gleich einen Gang Kochwäsche in der Wanne. Was dem Finnen das kalte Bad nach der Sauna, ist im Onsen also die Heißwasserbehandlung vorher. Dann muss man eigentlich nur ins Becken und genießen. Nach dem Abendessen, serviert von den geschickten Kellnern im eigenen, privaten Tatamizimmer, präpariert der Zimmerservice kunstvoll das Futonbett mit mehreren Laken und dicken Daunendecken. In der ersten Nacht schwankte es regelmäßig. Ich weiß nicht, ob das alte Holzhaus von alleine wackelte, ob es reagierte, weil jemand eine Tür zu heftig aufschob oder der Vulkan sich mit sanftem Beben meldet. Ich fand es beruhigend. Aber wer aus unerfindlichen Gründen nicht einschlafen kann, könnte rund um die Uhr ins Bad.