Tsurunoyu Onsen – Baden wie ein Samurai

Weit im Norden ist das Land noch tief verschneit. Die Berge sind hoch und steil, Schneefräsen parken vor Schuppen aus grob bearbeitetem Nadelholz. Es gibt Skilifte, ganz wie in den Alpen. Aber die Landschaft ist irgendwie lieblicher, nicht so zerklüftet, wirkt gepflegter. Hier paaren sich natürlich Geologie und japanische Ästhetik, denn die Berge sind kein Faltenwurf drängender Landmassen, sondern als Vulkane aus dem flachen Boden gewachsen wie Pilze, rund und wohlgeformt. Die feurigen Berge schenkten dem Land nicht nur ein anmutiges Profil, sie heizen auch eine Vielzahl schwefelig-heißer Quellen, welche die Menschen zu erholsamen und heilenden Bädern nutzen. Das muss nicht im verschneiten Norden sein, vulkanisch ist das ganze lange, schmale Japan, von den Tropen bis zur Tundra. Aber in unzugänglicher Winterlandschaft sitzt es sich urgemütlich im dampfend heißen Freiluftbecken. Vollkommen aber wird das Badevergnügen im Onsen erst als Gast des zugehörigen Ryokan, der traditionellen Herberge. Als erstes unterwirft man sich da dem japanischen Konformitätszwang, in dem man für die Dauer des Aufenthaltes ausschließlich hauseigene Badekleidung trägt. Das ist ein dünner, heller Kimono und ein gröberer, blauer Überwurf. Der kaschiert praktischerweise jeden Bauchansatz und macht breite Schultern wie ein Samurai. Unterwäsche darf darunter getragen werden, solange man diese mit den Kimonos geschickt den Blicken anderer Gäste entziehen kann. 

Es gilt natürlich, strenge Regeln zu befolgen. So gibt es mindestens drei verschiedene Schuhe, fürs Haus, für das Bad und grobe Holzpantinen für das Klo. Die müssen korrekt an- und ausgezogen sein und im richtigen Windfang abgestellt werden. Dann gibt es noch die zahlreichen Schiebetüren zu bedienen. Das beherrschen Fremde aber nie. Wir können nur staunen, wenn der Zimmerkellner mit schwerem Tablett die Schlappen abstreift, dann seine Last einhändig knieend sichert und mit der freien Hand die Türen zischend bedient. 

Nach all der gelebten Tradition sind die Baderegeln gar nicht mehr so schwer. Wahrscheinlich machen wir sowie alles falsch, aber wir wären nicht die einzigen. Jüngere Japaner wirken im öffentlichen, gemischtgeschlechtlichen (!) Becken generell unsicher und verklemmt. Die weißhaarigen dagegen scheren sich um gar nichts. Nacktheit ist ein kritischer Punkt. Für die gefährlichen zwei Meter zwischen Umkleide und Becken schützt man sich mit einem kleinen, weißen Lappen. Den trägt man im Wasser dann zusammengefaltet auf dem Kopf. Damen bemühen sich, durch sofortiges Hinsetzen ihre meist nur spärlich vorhandenen Brüste im trüben Wasser zu verbergen.

Dann gibt es schon in der Umkleide eine Badestelle, die genutzt werden muss. Da ist ein Kaltwasserhahn und die japanische rechteckige Sitzwanne mit brühend heißem Quellwasser. Zum reinigen, aber vor allem um den Kreislauf vorzubereiten, übergießt man sich aus Bottichen oder wagt gleich einen Gang Kochwäsche in der Wanne. Was dem Finnen das kalte Bad nach der Sauna, ist im Onsen also die Heißwasserbehandlung vorher. Dann muss man eigentlich nur ins Becken und genießen. Nach dem Abendessen, serviert von den geschickten Kellnern im eigenen, privaten Tatamizimmer, präpariert der Zimmerservice kunstvoll das Futonbett mit mehreren Laken und dicken Daunendecken. In der ersten Nacht schwankte es regelmäßig. Ich weiß nicht, ob das alte Holzhaus von alleine wackelte, ob es reagierte, weil jemand eine Tür zu heftig aufschob oder der Vulkan sich mit sanftem Beben meldet. Ich fand es beruhigend. Aber wer aus unerfindlichen Gründen nicht einschlafen kann, könnte rund um die Uhr ins Bad.

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